Kein Luxus, eine Frage des Überlebens:
Und immer wieder die Frage, wem dieses theoretische Gelaber nützen soll? Wer definiert, was relevant ist? Für die, die getötet werden, weil sie anders gehen ist es relevant und für die die sich deshalb selbst töten auch.
Butler mal langsam zum mitdenken, auch für die, die immer noch glauben sich dauerhaft in intelligiblen Positionen eingerichtet zu haben:
„Ich würde sagen, dass es nicht eine Frage ist, eine neue Zukunft für Geschlechter herzustellen, die es noch nicht gibt. Die Geschlechter, die ich im Sinn habe, gibt es schon lange Zeit, aber sie wurden in den Begriffen, die die Realität bestimmen, nicht zugelassen. So ist es eine Frage, innerhalb des Gesetzes, innerhalb der Psychiatrie, innerhalb der sozialen und literarischen Theorie, ein neues, die Komplexität der Geschleter, die wir schon immer gelebt haben, begründendes Lexikon zu entwickeln. Weil die Normen, die die Wirklichkeit regieren, jene nicht als reale zugelassen haben, nennen wir sie notwendigerweise neue Geschlechter. Aber ich hoffe wenigsten, dass wir wissend lachen werden, wenn und falls wir dies tun. Wenn jemand meint, dass eine solche Theorie reiner Luxus ist, dann sollte er bedenken, dass der notwendige Hintergrund des Unbehagens der Geschlechter / der Geschlechterverwirrung eine Frage des Überlebens ist. Es geht um die Frage, wie einen Welt zu schaffen ist, in der diejenigen, die ihr Geschlecht und ihr Begehren als von der Norm abweichend verstehen, ohne die Bedrohung durch Gewalt von außen leben und sich erfolgreich entwickeln können. Und dies, ohne das andauernde Gefühl ihrer Unwirklichkeit zu haben, das zu Selbstmord führen kann und geführt hat, sowohl einem selbstmörderischen Leben als auch Selbstmord in einem ganz wörtlichen Sinne. Zuletzt würde ich fragen, welchen Platz das Denken des Möglichen innerhalb der politischen Theorie hat. Man kann einwenden: ‚Ah, aber du versuchst nur, die Geschlechterkomplexität möglich zu machen, doch das sagt uns nicht, welche Formen gut oder schlecht sind – es liefert nicht das Maß, die Norm.’ Und das stimmt. Es liefert nicht das Maß. Aber es gibt hier einen normativen Anspruch, und er hat zu tun mit der Fähigkeit, zu leben, zu atmen, und sich zu bewegen, und das würde ohne Zweifel zu einer Philosophie der Freiheit gehören. Der Gedanke eines möglichen Lebens ist nur für diejenigen Luxus, die sich selbst schon als möglich wissen. Für diejenigen, die immer noch auf diese Möglichkeit warten, ist diese Möglichkeit eine Notwendigkeit.“
[Zitiert nach Hannelore Bublitz: Judith Butler zur Einführung]