Supervision II: Hallo meine Name ist…Dr. Bronft

Hallo Frau Doktor,

ich soll ja meine therapeutische Karriere an den Nagel hängen, doch es ist gar nicht leicht Fuß zu fassen, wenn alle anderen Bewerber (sic!) so sind wie der hier:

Trotzdem: Ich werde ständig eingeladen. Das nervt! Letzend war es also wieder soweit, ich feuerte eine dieser unglaublich aufwendigen E-Bewerbungen hinaus, die beweisen, dass ich

a) fähig bin ein einziges PDF mit weniger als 5 MB herzustellen, das tatsächlich alles enthält: Deckblatt, Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse und Unterschriften!

b) auch mit einem Foto, dass meine Schwester vor 3 Jahren in einem Hamburger Café aufgenommen hat und das ich nur “geringfügig” bearbeitet habe, im Spiel bleibe.

c) sogar mit Rechtschreibfehlern im Anschreiben eingeladen werde.

Ich habe nur ca. eine Stunde in verschiedenen Klamotten vor dem Spiegel posiert, um einzusehen, dass ich wenig beeindruckend-seriöse Klamotten habe. Dass ich mich jetzt verkleiden soll und nicht einfach eine Jeans und einen Kapuzen-Pullis anziehen darf, macht es nicht besser. Ok, Frau Doktor erwischt. Ja ich musste vorher einkaufen gehen und ja  ich habe etwas elegantes-nicht-zu-schickes gefunden, das jetzt in meinem Schrank bis zum nächsten Gespräch modern darf. Und tatsächlich: auch Schuhe musste ich mir kaufen – auch wenn ich sehr gerne mit Jogging-Schuhen gegangen wäre!

Ich komme also an den Ort. Der Mann ist klein, aber breit, er hat viele graue lockige Haare und einen kräftigen Händedruck. Den habe ich auch. Also zugedrückt, aber nicht zu fest, nicht zu lasch, bitte nicht schwitzen (vorher Hände waschen ist gut, abtrocknen ist besser!) und ab dafür. Ich lehne den Kaffee ab, aufgeregt bin ich schon genug. Ich setze mich so hin, wie es in den Bewerbungstraining für über- und untergewichtige Frauen heißt:  Nicht zu weit vorne an den Rand des Stuhles (das wirkt unsicher)  nicht zu weit nach hinten (das wirkt auch unsicher, die Bewerberin wirkt fliehend). Der Hintern muss sitzen, bequem, aber nicht fläzen. Das Rückrat darf elegant nach oben streben, doch zugleich darf es  nicht zu steif und nicht zu windig wirken. Die Beine wahlweise überschlagen, wahlweise hüftbreit nebeneinander stellen, bloß nicht aus lauter Unsicherheit die Gender-Performance-Künstlerin raushängen lassen! Breitbeinige Frauen stellt keiner (sic!) ein.

Wohin mit den Händen? In den Schoß, auf den Tisch (wenn Sie gepflegt sind ja, wenn man so wie ich aus nervösen Nagelbett-Entzündungen besteht lieber nicht), Sie dem Anlass gemäß bewegen? Die Hände also Situationsbedingt integrieren, aber bitte nicht wild gestikulieren. Ein Stift und ein Blatt zum Beispiel und Skizzen machen. (was nicht unbedingt gut ist,  wer zu ungewöhnlichen Mitschriften tendiert,  eben nicht von links nach rechts, sondern eher Mind-Mapp mäßig mit Kreisen, Wolken, Pfeilen, Quadern, Ponys und schiefer Schrift spielt, kann damit eine willkommen oder unwillkommene Nachfrage generieren: Ist das ein Penis? Nein, das ist ein Pony!)

Oder einfach die Arme aufeinander legen und dem Gegenüber aufmerksam und nett ins Gesicht schauen. (Wie gesagt nur, wenn man es nett meint kann man nett sein, also versuchen Sie es besser gleich nicht!)

Oder eben doch ja zu einem Wasser sagen und ganz natürlich (!) zum Glas greifen. Trinken sollte man sich dann jedoch auch noch trauen. Prost!

Geschafft; Schwungvoll sitze ich also da, mein ganzes Ich strahlt nach außen: Präsenz, Kompetenz und Sympathie.

Umsonst, ich werde fast nichts gefragt. Die Fragen, die mir gestellt werden beweisen das mein Gegenüber meinen Lebenslauf nicht gelesen hat. Ja, ich kann redaktionell schreiben, ja ich kann eine Power-Point erstellen. Wirklich? Ich soll ihnen eine Power-Point erstellen?

Nach einer Stunde darf ich gehen. Nach zwei Wochen werde ich nochmals eingeladen. Mein Gegenüber erklärt mir, dass er sich für einen anderen Bewerber entschieden hat. Jemand, der eben schon länger in der Abteilung ist. Aber dass er es sich sehr gut auch mit mir vorstellen hätte können (Wortlaut!) und jetzt bitte nicht traurig sein soll. Ich bin also sauer, nicht traurig. Dann gehe ich.

Mein Konkurrent hat gerade einen Säugling bekommen,  das hat mir natürlich nicht der lockige Mann gesagt, aber  ich wusste das bereits und hatte mir deswegen keine Chancen ausgerechnet: Männer, die frisch Väter geworden sind, stellt man gerne ein,  den Wohl-Fühl-Bonus gibt es  gleich mit dazu. Den umgekehrten Fall brauch ich Ihnen nicht schildern, Frau Doktor.

Naja, bleibt zu erwähnen, dass ich meinen Konkurrenten eine Woche später angesprochen habe. Er war ganz peinlich berührt. Am peinlichsten war ihm wahrscheinlich, dass er gar kein Bewerbungsgespräch hatte. Sondern einfach eingestellt worden ist.

Was sagen Sie dazu Fr. Doktor? Kann ich nicht doch Therapeutin oder zumindest Lebensberaterin bleiben?

Mit den besten Grüßen

IgittYvette

P.S. Nächste Mal erzähl ich ihnen von der  Situation mit den Fehlern im Anschreiben! Oder möchten Sie lieber von meinem Zweit-Besten-Freund hören, der in jedem Vortrag die Worte “bestücken”; z.b. den USB-Stick, “runterholen” , z.B. den Download oder auch “befriedigen” z.B. alle Zuhörer? Nein, wie sie wollen.