Nicht mehr ganz neu: Rezension zu MC.Sex


Eine Sexualisierungswelle rollt über Europa…
… zumindest nach Meinung zahlreicher Veröffentlichungen, die sich mit Sexualität und Pornografie beschäftigen und eine zunehmende “Verrohung” und “sexuelle Verwahrlosung ” von Jugendlichen konstatieren.
“Can you control your hoe?” rappt Snoop Dob und folgt damit den hip-hopenden Kollegen , die sexistisches Liedgut als postmoderne Poesie zu verkaufen suchen. Nach Myrthe Hilkens, einer niederländischen Musikjournalistin ein Phänomen der Pornifizierung: 13-Jährige, die ihre Freundinnen um ein Rendevous zum Analsex bitten, Stringtangas in Kindergrößen bei H&M und Brazil als schicke Untenrum-Frisur und Plastik-Brüste für Obenrum.
In Mc.Sex hält uns Hilkens das sexistische Frauenbild der Hip- Hop Szene vor die Nase. Mädchen berichten von zweifelhaften Vorbildern (Britney Spears, Beyonce) und eindeutigen Angeboten im Internet. Hilkens hat Justine Levy’s Buch “female chauvinist pics” gelesen, die Anti-Porno Debatte in den 80ern um McKinnon, Dworkin verinnerlicht und zitiert aus zahlreichen Studien. Dabei versteht sich Hilkens nicht als Anti-Porno Feministin. Im Gegenteil – Hilkens ist stolzes Kind der „sexuellen Revolution“.

Der erste Teil des Buches liest sich eindringlich. Die Musikjournalistin argumentiert reflektiert. Im Laufe des Buches lässt sie sich von der moralinsauren Dynamik der Pornografie mitziehen. Der Ton wird klagend. Die Mädchen, die zu Wort kommen, entsprechen jedoch nicht dem Bild, das man von Infizierten hat. Vielmehr scheinen sie mit den üblichen Problemen konfrontiert, wie jeder, der die Disziplinarschleife Schule und Clique durchläuft. Mit der Besonderheit, dass eine neue technische Verfügbarkeit die Jugendlichen früher aus der Obhut der Eltern entlässt. Sicher, auf die Jugend prasselt ein Vielzahl vulgärer Bilder ein, die keineswegs mit dem Hüftschwung von Elvis Presley mehr zur vergleichen sind. Nervig, dass die Medienwelten immer wieder altbackene Rollenvorbilder nutzen und wir es bitter nötig haben, ein alternatives Imaginäres zu entwerfen, die Frauen nicht länger als glattrasierte Spermazofen auftreten und Männer als sprechgeschädigte Muskelpakete.

Die Lösungen, die uns Myrthe Hilkens anbietet bleiben indes fragwürdig: Liebe und Medienerziehung. Medienerziehung in einem straffen und leistungsorientierten Bildungssystem zu fordern, jedoch zunehmend schwierig. Auch die Liebe bleibt ein vages Konstrukt einer heteronormativen Paarbeziehung, die Eltern zu einer unfehlbaren Instanz macht. Doch ist die Familie nicht zugleich die unangreifbare Institution, die Missbrauch und Gewalt in einen Deckmantel des Schweigens hüllt?

Myrthe Hilkens „Mc Sex“ ist eine populärwissenschaftliche Auseinandersetzung mit streitbarem Charakter. Doch damit ist sie zugleich Teil des gesellschaftlichen „Muss“ über den Zusammenhang von Medialität, Sexualität und pornografischer Zurschaustellung zu diskutieren.

Hilkens, Myrthe: McSex. Die Pornofizierung unserer Gesellschaft. Orlanda Verlag, 2010, 18 Euro