Rezension Bitterfotze: Bitter und kein bisschen sexy

Maria Sveland_heirat

Schweden – EU Vorzeigeimperium der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Eine hinreißende Geburtenrate von 1,8 % (für den ein oder anderen Konservativen) und den größten Anteil berufstätiger Frauen von etwa 80%. Land des geschlechterunabhängigen Wickelvolontariats (13 Monate Elternzeit, bei 80% des Bruttolohns für den daheimbleibenden Partner) und für nahezu die Hälfte aller Kinder unter 3 Jahren gibt es staatliche Krippenplätze…

Maria Sveland, Fernsehwissenschaftlerin und schwedische Journalistin hat ihr erstes Buch veröffentlicht, das dem Mythos Schweden einen saftigen Tritt in die Eingeweide verpasst.

„Bitterfotze“ spielt bewusst mit dem neuen Aufstieg der Unterleibsliteratur, liest sich jedoch nicht als pornografisierte Selbstvermarktung, sondern vor allem als persönliche Abrechnung mit Vater Staat. „Bitterfotzig zu werden“ steht dabei als Synonym der Kälte und der Wut, die viele junge Frauen spüren, wenn sie das erste Mal mit Grenzen konfrontiert werden, die für viele Männer ein Leben lang unsichtbar bleiben. Eine Wut, für die es keinen gesellschaftlichen anerkannten Ausdruck gibt, außer vielleicht das zerknitterte und verbitterte Gesicht einer alter Frau.

„Bitterfotze“ schildert die Erfahrungen der jungen Mutter und Journalistin Sara, die nach zwei Jahren Balanceakt zwischen Baby, Beruf und sexy Ehefrau müde geworden ist. Das Buch erzählt von Saras Kindheit und Jugend, den ersten sexuellen Begegnungen und den alltäglichen Kämpfen zwischen ihren Eltern. Sara ist in einer traditionellen Familie (Papa schimpft und arbeitet, Mama weint und kocht) aufgewachsen. Sie ist eine attraktive gebildete Frau, die als Teenie gerne mit dem Spruch „Hast du was warmes pochendes?“auf Männer in Kneipen zugegangen ist und den einzigen Mann, der sich nicht in seinem reaktionären Jagdmuster getroffen fühlt, erst küsst und später heiratet. Johann hat genausoviel Humor wie sie, teilt ihre Ansichten, liebt und unterstützt sie. Bis zum dem Zeitpunkt als sie ihr erstes Kind bekommen leben sie eine ausgeglichene harmonische Beziehung.

Ausgerechnet zur Geburt des gemeinsamens Sohnes bekommt Johann seine erste Regiearbeit am Theater in Stockholm. Sara ist die ersten Wochen nach der Geburt allein mit dem Kleinen. Sie ist überfordert, ängstlich, weil es mit dem Stillen nicht klappen will und fühlt sich von Johann im Stich gelassen. Weitere Schwierigkeiten folgen, die intensive Diskussionen und schließlich den Gang zu einer hilflos reaktionären Eheberatung nachsichziehen, die Saras und Johanns Ehe mit dem Venus-Mars Prinzip à la „Männer können eben besser mit Technik, dafür können Frauen zuhören, vergesst die Gleichberechtigung“ zu trösten versucht. Dann Saras Flucht nach Teneriffa. Hier nimmt sie sich eine Woche Auszeit, um über ihr Leben nachzudenken. Den zweijährigen Sigi lässt sie bei seinem Vater zurück. Ein Skandal in den Augen ihrer Familie und ihren Freundinnen.

Es ist kein Geheimnis, dass es für Frauen zu einer Retraditionalisierung der Rollen kommt, sobald sie sich für ein Kind entscheiden. Während Frauen an ihren egalitären Vorstellungen festzuhalten versuchen, schleicht sich bei den jungen Vätern oft eine Retraditionalisierungsverständnis ein. Das liegt nicht an den bösen Buben, sondern in erster Linie an gesellschaftlichen Strukturen, die den Lebenweg einer Familie peinlich genau vorzeichnen. Weniger an einem Patriarchat, wie Maria Sveland das archaische Feindbild eines Steinzeitfeminismus nachzeichnet, als an unseren fein säuberlich gestreuten Vorstellungen von Männern und Frauen. Alltagsbemühungen werden von vielfältigen Machstrukturen durchpflügt, die mit essentialistischen Logiken argumentierend immer wieder festsetzen, was gesellschaftlich Frauen und was Männer zu machen haben, um eindeutig als Mann oder Frau erkennbar zu sein. Dazu gehört eben auch, das die Betreuung des Nachwuchses immer noch ausschließlich in den Armen der Mutter gesehen wird. Männer, die sich um eine neues Vaterverständnis bemühen, heimsen neben einigen unverständlichen Blicken, vor allem Lob und Ruhm für ihr Engagement ein – ein Engagement, das bei Frauen als „natürlich“ vorausgesetzt wird und keine besondere Erwähnung braucht.

Maria Sveland hat ein Buch für gut gebildete heterosexuelle Frauen der Mittelschicht geschrieben. Frauen, die einem verklärten Bild von Familienglück hinterherjagen und dabei Selbst auf der Strecke bleiben. Das Buch zeigt, dass es europaweit (weltweit?) keine Struktur gibt, die Kinderkriegen, Partnerlieben und einen geilen Beruf haben unter einen Deckel bringt.

Zugleich zeigt „Bitterfotze“, dass viele die feministischen Diskussionen um Dekonstruktion weit hinter sich gelassen haben, den Momenten der Sozialisation von Geschlecht nur noch hinterherröcheln, um ein neues essentialistischeres Frau-Sein-Bild als je zuvor feiern, dem Staat auf Schlag– die Resozialisierung der Kernfamilie folgt. Beziehungen, Familienglück jenseits einer klar getrennten Binarität der Geschlechter sind längst nicht im Mainstream angekommen (geschweige denn das Regelmechanismen diskutiert würden, wie homosexuelle Paare den Traum vom eigenen Kind verwirklichen dürften). Klar auch, dass es hier keine Fragen von Migration, von den Perspektiven junger Frauen und Männer auf Familie, die nicht mal ihren Quali in der Tasche haben, diskutiert werden.

Oder liegt das vielleicht darin, dass wir ganz einfach stillschweigend akzeptieren und es von einigen Seiten auch befürwortet wird, dass junge Frauen aus bildungspolitischer „Unterschicht“ die vollkommene Erfüllung im „Mutter-Dasein“ und „Hausfrauentum“ finden und wir nur eine Diskussion um die „besser“ gebildeten Akademikerinnen führen müssen, die ja dem Arbeitsmarkt so schmerzlich fehlen?

Dagegen hilft kein reaktionäres AltfeministInnen Gebaren einer Schwarzer, noch der Ringelreihe Feminismus der Alphamädchen.

Und trotzdem: Bitterfotze (gesprochen als zwangsheterosexuelle Frau mit Kinderwunsch) ist ein Buch, das runter geht wie Öl, kurze Zeit brennt und schließlich im Kurzeitgedächtnis verglüht.